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Hinweis

Dies ist eine Abschrift der stenografisch protokollierten Rede von Bruno Gröning, die er am 25. September 1950 anlässlich eines Besuchs beim Ehepaar Schwarzenhauer in München gehalten hat.

Aufnahmen von Vorträgen Bruno Grönings mit seiner Originalstimme sind auf CD erhältlich und können unter folgender Internet-Adresse bestellt werden: www.bruno-groening-stiftung.org

Rede von Bruno Gröning bei Ehepaar Schwarzenhauer, München, 25.9.1950

„Es ist immer schwer, hier etwas zu sagen.“


Die Eltern baten Gröning um Hilfe für ihr im Krankenhaus liegendes Kind, das von den Ärzten aufgegeben ist und von deren Seite keine Hilfe mehr zu erwarten ist. Der Professor selbst hat geäußert, die Krankheit des Kindes ist eine seltene Krankheit und er hat noch keinen Fall erlebt, der geheilt worden ist (Leukämie).

Als Trostworte gab Gröning den Eltern Nachstehendes mit auf den Weg:


Es ist immer schwer, hier etwas zu sagen. Ich möchte Ihnen hierzu ein Beispiel geben. Ihr Kind ist im Krankenhaus. Genauso ich gebe einem Menschen einen wertvollen Gegenstand in die Hand, kann aber nicht garantieren, ob er ihn nicht vernichtet, obwohl er vielleicht vorsichtig ist, obwohl er es gar nicht will. Es kann passieren. Es ist schwer, hier viel einzuwirken. Deswegen will ich nicht gesagt haben, dass Sie das Kind herausnehmen sollen. Eines gebe ich Ihnen mit auf den Weg: Ich werde es versuchen. Aber dass Sie mich hier richtig verstehen: Sie geben einem Menschen einen kostbaren Gegenstand in die Hand. Sie schenken ihm das Vertrauen und er lässt es unwillkürlich fallen, wenn es ein zerschlagbarer Gegenstand ist oder irgendein anderer Gegenstand, Radiogerät vielleicht oder sonst etwas, was leicht beschädigt oder vernichtet werden kann.

In Herford kommt eine Frau, weint wie Sie. Ich sage: Weinen Sie nicht, Sie kommen gerade aus dem Krankenhaus und haben Ihr Kindlein besucht, haben den Bescheid erhalten, dass Sie keine Hoffnung mehr haben dürfen. Ich konnte der Frau Hoffnung machen. Ich sagte: Umgekehrt ist auch was wert. Ist alles aufgeschrieben worden. Schade, die Schriftstücke habe ich heute nicht mehr. Es geschah, was geschehen sollte. (Das Kind war in Bethel 1). Bethel war ja für mich ein großer Begriff

1Bethel (auch bekannt als „Von Bodelschwinghsche Anstalten“) ist der Name einer diakonischen Heileinrichtung mit Hauptsitz in Bielefeld.

Und so sind viele Mütter, viele Väter gekommen, viele Frauen um ihren Mann, viele Männer um ihre Frau. Ich kann keinem Menschen und darf auch keinem Menschen was versprechen. Ich lasse nichts unversucht, um den Menschen zu helfen und Ihnen auch das Kind zu erhalten, soweit es mir möglich ist. Ich sagte ja, es kann eine unglückliche Hand da sein. Ich habe hier eben – ich wusste nicht, um welches Kind es sich drehte – das Krankheitsbild eingegeben, aber dabei festgestellt, dass es Spritzen bekommt und dass die von sich aus sich keine Hoffnung machen. Meistens ist es ja so, dass es nachher anders aussieht. Ich lasse nichts unversucht, trotzdem bin ich dabei.

Ich würde Ihnen zu nichts raten, weder zu dem einen noch zu dem andern. Denn ich selbst möchte nicht, obwohl es nicht mein Verschulden ist, in den Verdacht nur kommen, dass ich der schuldige Teil bin. Ich arbeite so, indem ich nicht einmal meinem größten Todfeind das Schlechte, sondern immer nur das Beste wünsche. Ich sage nur eines: Hier ist eine Wand, du gehörst nicht in unsere Reihen, du darfst nicht in unserem Haus bleiben, geh dorthin, wo du hergekommen bist! Und auch hier, wenn ich Ihnen jetzt raten würde, nehmen Sie es heraus. Nur um eines bitte ich Sie: Sorgen Sie sich nicht zu sehr darum! Denn Sie müssen es auch mehr freigeben, nicht so stark belasten, das war ja auch der Fall.

Ich selbst habe zwei Kinder verloren, ich weiß, wie es ist, ich selbst musste es auch dulden. Aber ich habe gewusst den Tag, auch die Stunde und musste dieses mit mir durchs Leben tragen. Als das erste Kind kam, sagte ich, es erreicht das neunte Lebensjahr. Als das zweite kam, was er darüber gelebt hat über sein neuntes Lebensjahr, lebte der Zweite. Was der Wunsch war von dem Ersten, einen Monat unter dem neunten Lebensjahr. Dieses wissen, dieses tragen und dann noch nicht mal dabei verzagen. Aber wenn das so ist, meine Kinder sind nicht tot. Der Körper dieser Kinder ist nur tot, die Seele lebt weiter. Und es wäre eine Schuftigkeit, überhaupt diesen Ausdruck zu brauchen, dieses Kind ist tot. Nein, der Körper ist tot. Der Mensch, wie alle Lebewesen auf dieser Erde, läuft seinen Weg, geht sein Leben durch. Es ist Ihnen nicht unbekannt bei Tieren, in einem Jahr sind es Raupen, im andern Jahr Schmetterlinge, und wie viele andere Tiere sich auch verwandeln. So ist es auch beim Menschen. Wie sollte ich wissen, wo ich früher war. Ist mir nicht unbekannt. Ich kann es behaupten, kann es nicht beweisen, aber wenn ich es behaupte, dann stimmt es auch. Das ist auch meine Stärke. Ich würde es nicht wagen, Sie werden nie von einem Menschen hören, dass ich einem Tier wehgetan habe. Was weiß der Mensch, was für eine Seele drin ist. Haben Sie dem Tier das Leben gegeben? Nein. Folglich haben Sie nicht das Recht, ihm das Leben zu nehmen.

Ich habe auch meine Eltern verloren. Ich habe auch einen Bruder verloren. Da habe ich es aber gesagt, vom Vater auch, von der Mutter auch. Für mich ist es noch viel schwerer, das vorher zu wissen und kann doch nichts dagegen tun. Wenn ich einem Menschen helfe, der zum Sterben liegt, wo das Werk tatsächlich abgelaufen ist und ich tue es, dann erhalte ich von meinem Freund, von meinem besten, meinem einzigen Freund eine Ohrfeige. Wissen Sie, wer mein Freund ist? Gott? Nein, das ist der Vater, das ist unser Vater. Mein Freund ist der Tod. Ich das Leben, er der Tod. Wir beide müssen zusammenarbeiten, jeder hat seine Aufgabe. Ich bin sichtbar, er ist unsichtbar. Was ich leiste, ist unsichtbar, aber doch fühl- und spürbar, und was er leistet, ist sichtbar, das ist der Unterschied. Es geht nicht, dass ich den Tod vielleicht ablehne als meinen Freund. Nein. Nehmen Sie hier die Lampe. Plus und minus. In einem Draht ist Strom, in einem nicht und beide bewirken das, das Leben, dass die Birne glüht und ihren Zweck erfüllt. Sie als Frau oder Frauen nur allein könnten nicht existieren, sie möchten aussterben, also gehört der Mann dazu. Ein Mann kann auch nicht existieren, da gehört die Frau dazu. Sie würden mit einem Mal aussterben, wenn wir die Frauen von den Männern teilten und umgekehrt. Also gehört das zusammen. Und hier habe ich das getan und ich hüte mich, es nochmals zu tun. Deswegen heißt es nicht, dass ich es aufgegeben habe. Ich tue das, was ich zu tun habe. Ich tue das, wozu ich mich verpflichtet fühle und soweit ich es tun darf. Ich sagte Ihnen ja, dass ich es noch viel schwerer hatte. Ich wusste das schon Jahre vorher, das war eine Qual. Ich weiß auch meinen Tod, meinen Todestag, meine Todesstunde. Ich fürchte auch nichts. Wenn ich Ihnen Ihre Todesstunde sagen würde, dann würde Ihr Mann, ganz gleich, ob er Sie liebt, wenn er Sie liebt, er würde einfach irre werden oder umgekehrt. Deswegen sage ich hier nach wie vor, das liegt in Gottes Hand. Aber ich bitte Sie, überhaupt keinen Ihrer Angehörigen für alle Zukunft, für Ihr weiteres Leben, für tot zu sprechen, wenn der Körper tot ist. Dann vergäße man ja den Menschen, aber man spricht ja immer von ihm, also kann man nicht sagen, dass er tot ist, denn wenn man ihn tot sagt, muss man ihn vergessen.

Ich mache den Ärzten auch immer Vorwürfe, mit Recht, wenn sie sagen: Ja, ich kann Ihrem Mann nicht helfen. Und sagen es dem Mann noch selbst: „Höchstens ein Monat, zwei Monate oder drei Monate.“ Das darf auch nicht sein. Das darf man nicht sagen, das ist falsch.

In dieser Zeit, wenn der Arzt Ihnen das gesagt hat, er hat keine Hoffnung, da quälen Sie sich herum. Statt dass Sie das Kind entlasten, belasten Sie das Kind, dass es tatsächlich seelisch und geistig nicht mehr auf die Höhe kommen kann. Was glauben Sie wohl, was ein gesunder Mensch einen Kranken schwächen kann. Jetzt wird erst alles ins Licht gestellt, jetzt soll der Mensch erst wissen, was los ist.

Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu können, diese wenige Worte sagen viel, sagen alles. Beherzigen Sie sie für Ihr ganzes Leben! Ich tue das, was mir befohlen. Mehr kann ich Ihnen nicht so versprechen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr weiteres Leben. Lassen Sie bitte von sich hören. Und nicht Köpfchen verlieren. Köpfchen schön hochhalten, stark bleiben trotz allem!

(Mutter wirft ein: „Ich darf schon zuversichtlich sein?“)

Ich verspreche nichts, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Nicht, dass ich eine Ausrede gebrauche, dass ich das umgehen will, nein, das ist nicht meine Art. 

Obwohl der Mensch, der andere es auch gut meint. Darf ich Ihnen noch ein anderes passendes Beispiel geben. Sie haben einen kostbaren Gegenstand in der Hand. Plötzlich lassen Sie ihn fallen, ohne dass Sie es wollten. Die Scherben sind da. Jetzt weinen und grämen Sie sich. Jetzt frage ich Sie: Wird es wieder ganz, wird es wieder in Ordnung gehen, wo das schon so vernichtet ist, bekommen Sie es wieder? Dieses nicht. Vielleicht ein anderes. Ja? Aber deswegen, von dem Weinen, von dem Grämen, von den Sorgen, die man sich sonst macht um diesen Gegenstand, gleich, was es sei, wird es nicht besser. Das ist an diesen praktischen Beispielen aus dem menschlichen Leben herausgegriffen, da lernt man es am besten verstehen. Ich könnte Ihnen da so Vieles, so viele Beispiele, tatsächliche Beispiele geben, auch diese zwei, sie führen Sie beide auf den richtigen Weg.

Es ist manchmal so, dass Menschen, wenn sie zu mir gekommen sind, es waren keine guten Menschen – damit will ich nicht gesagt haben, dass Sie nicht gut sind, aber dass Sie vieles nicht wussten und dass Ihnen das nicht einleuchten konnte, und jetzt mit einem Mal bei dieser Gelegenheit haben Sie das Glück, dieses zu hören. Was doch für Sie beide eine Selbstverständlichkeit sein muss, wie ich Ihnen dieses zu klären versucht habe in kurzen Worten. Denn ich habe auch hier mit Geistlichen gesprochen, mit Nonnen, mit Krankenschwestern und allen möglichen gut gottgläubigen Menschen. Aber Derartiges haben sie nicht gelernt. Und Geistliche, die auch schon einen schönen, höheren Vertrauensposten dort haben, die haben das nicht gewusst. Aber doch ist es so, wie ich das sage. Genauso vonseiten der Medizin, der Wissenschaft sowieso. Vieles haben sie nicht gewusst. Was weiß der Mensch! Nicht, dass ich mich als erhaben herausstellen will, nein, ich will der Dumme dabei sein. Dumm deswegen, weil ich mich für den Menschen aufopfere. Aber ich darf nichts unversucht lassen, ihn aufzuklären, damit es ihm besser geht. Mein Leben ist nicht mein Leben. Ich lebe das Leben aller Lebewesen, ich will ihnen allen helfen. Ich will den Menschen vorerst auf den wahren göttlichen Weg bringen, damit er zur Vernunft kommt, damit er weiß, was los ist, das ist mein Wille. Und deswegen setze ich mich dafür ein, ohne einen eigenen Nutzen davon zu haben, im Gegenteil. Mein Leben würden Sie nicht leben. Aber das geht ja auch nicht, das würde ich von Ihnen nicht und von keinem Menschen verlangen. Ich bin damit zufrieden. Nicht, dass ich sage, ich muss, nein, ich bin es und habe nebenbei noch genug Ärger und alles. Aber schadet nichts. Jeder Mensch hat mit sich zu tun, seine eigenen Sorgen zu bekämpfen, er wird mit seinen eigenen gar nicht fertig, und dann noch die Angehörigen. Es ist ein sorgenvolles Leben, sogar ein Leiden kommt dazu, und wenn eines erst da ist, kommt mehr.

Was sollte ich sagen. An mich selbst kann ich nicht denken, ich denke nur an die armen Kranken und setze mich für alle ein. Ehrlich gesagt, die Zeit, die ich mir jetzt hier genommen habe, ist nicht wertlos. Aber ich kann es nicht immer, die Zeit ist mir nicht immer gegeben. Und deswegen können Sie das von sich aus auch schon sehr gut schätzen, dass Sie das Glück haben, muss ich ehrlich sagen, weil ich ja weiter sehe, dass Sie das Glück haben, Derartiges zu hören. Die Zeit und Gelegenheit ist nicht immer da.

Quelle:

Archiv Bruno Gröning Stiftung

Fassung vom 19.3.2013
 

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